
đ Ankommen im Abendlicht
Sardunya Bay, Abendlicht ĂŒber der Bucht.
Ich komme mit gemischten GefĂŒhlen â der FuĂ ist noch nicht fit, tanzen wird heute nichts.
Aber die Musik, Salsa/Bachata, leicht und warm, trÀgt mich trotzdem hierher.
Zwei Minuten zu FuĂ, Sonnenuntergang gratis, Meerblick inklusive â wenn man die Bauruinen am Rand ausblendet.
đ” Leere Tische, voller Einsatz
Drinnen: viele leere Tische, die TanzflÀche gÀhnend leer.
Mehmet steht am Pult wie der KapitĂ€n auf der Titanic â Musik voll aufgedreht, auch wennâs nur fĂŒr den Maschinenraum ist.
Er begrĂŒĂt jeden, der hereintöpfelt, strahlt, lĂ€dt ein.
Als EintĂ€nzer gibt er alles â ein ambitioniertes Unterfangen bei zwanzig Damen und zwei MĂ€nnern, von denen die Damen lieber sitzen bleiben und auf einen Prinzen warten, statt selbst das Steuer in die Hand zu nehmen.
Ich pendle zwischen zwei Tischen, lasse mich nicht festsetzen, lasse mich treiben.
Die TanzflĂ€che ist gĂ€hnend leer, trotz Mehmets Polonaise-Versuch (ich hasse sie â aber wennâs schee macht âŠ).
Die Musik trĂ€gt mich trotzdem â ĂŒber alle kleinen UnwĂ€gbarkeiten hinweg.
đŹ Die wartende Nachbarin
Eine Frau direkt am Tisch nebenan schien besonders zu warten.
1,5 Std. sei sie hierher gefahren â nur zum Tanzen, erfuhr ich, weil sie Zigaretten hatte und ich meine BlĂ€ttchen vergessen.
Frust pur. Einen Korb hatte sie sich schon geholt.
Also ging ich zu Mehmet und bat, sie in der Tanz-Abarbeitsliste vorzuziehen.
Tat er auch â und wir beide absolvierten unseren âPflichttanzâ, der meist mit grinsendem KopfschĂŒtteln endet.
(Er weiĂ nĂ€mlich, wie man richtig tanzt, und ich mache es einfach â irgendwie.)
Und dann kam sie: Lebendigkeit, Schwung, Einsatz âŠ
Was ich ihr nie zugetraut hÀtte.
Ein weiterer TĂ€nzer wurde aufmerksam â schien sich auch fĂŒr ihn zu lohnen.
Und sie? GlĂŒcklich. Lebendig.
Hielt leider nur bis zurĂŒck zum Tisch.
Wie oft warten wir mit unserer Lebendigkeit auf eine richtige Form, eine richtige Aufforderung?
Den Prinzen?
đŻââïž Die ersten Schritte
Etwas abseits zwei junge Frauen â Kunst- und Psychologiestudentinnen auf Heimaturlaub â lassen sich treiben, packen ihren USA-Frust weg.
Die eine hĂŒbsche junge Frau wird zweimal aufgefordert â sie tanzt groĂartig.
Ihre Freundin, AnfÀngerin, sitzt lange, bis sie selbst Mut fasst.
Beide tanzen, versuchen es zusammen, beide strahlen ⊠und holen mich dazu:
Ich strahle auch.
đ Tanzen mit dem Herzen
Dann tanze ich mit der KĂŒnstlerin, die mich fĂŒhrt.
SpĂ€ter fragt sie unsicher, ob das gut war â sie kenne ja nicht viele Schritte als FĂŒhrung im Salsa.
âZauberhaftâ, sage ich. âDu warst klar, du warst beim Herzen. Keine Figuren, kein Schrittfolgen-Katalog.â
Einen Moment lang schauen wir uns einfach an, als wĂŒrde sich dieser Satz setzen dĂŒrfen.
Man spĂŒrt: Es ging nicht um Technik, sondern um etwas Tieferes â um PrĂ€senz, Vertrauen, die Verbindung im Tanz.
Und genau das liebe ich beim Tango â da geht es um etwas ganz anderes.
Sie nickt. âDas will ich lernen.â
Also gehen wir zur Seite. Kein SchrittzÀhlen, nur Verbindung.
Rechte Schulter, linker Atemzug.
Sie lĂ€chelt: âDas ist ein anderer Sog.â
Genau. Tanz macht man mit dem Herzen â die Beine kommen von allein.
Und genau da war er wieder â dieser Moment von FĂŒhren, Hören, Folgen.
Ich nicke, setze mich auf die Mauer, glĂŒckliches Nachschmecken im 6/8-Takt.
đȘ Begegnung am Nachbartisch
Mein Blick trifft sich mit der einer jungen Frau am Nachbartisch.
âDich kenne ich dochâ, strahlt sie.
Ăh â passiert mir öfter, so wegen bunter Hund hier und meinem YouTube-Kanal.
Sie hilft mir: Vor einem Jahr im Resort, da hatten wir ĂŒber meine Arbeit gesprochen â Teilung von Zypern und deren traumatischen Auswirkungen.
Wumms â das Thema, wumms â mein aktuelles Thema.
đș Unterbrechung
Ich gehe zu ihr an den Tisch, der Sonnenuntergang taucht die Bucht in Gold.
Wir kommen auf die Traumata hier â die Zypern-Teilung, den Krieg â und die, die wir Deutschen nicht aufgearbeitet haben. FĂŒnf Generationen lang.
Ihre Augen werden groĂ. Groschen fallen, einer nach dem anderen â bis das Sparschwein irgendwann schwer genug ist, dass man es ernst nimmt.
Und dann ⊠kommt ein TĂ€nzer, fordert sie auf â mitten im Satz.
âJust a minuteâ, sage ich, um den Gedanken noch zu Ende zu bringen.
Er akzeptiert es nicht, streckt seine auffordernde Hand direkt vor meiner Nase zu ihr hin.
Und sie? Steht brav auf.
Na denn. Nix Neues.
(Die TanzflÀche ist manchmal ehrlicher als jede Therapiesitzung.)
Beinahe wĂ€re ich gegangen, erzĂ€hle ich ihr, als sie zurĂŒckkommt.
Klar gönne ich jedem den Tanz â aber ich habe auch meine PrioritĂ€ten.
Erkennendes Entsetzen.
âOb das, was ich gerade gemacht habe, vielleicht auch damit zu tun hat, worĂŒber wir gesprochen haben?â fragt sie.
Verstehendes Schweigen.
đ§ Ăber Narzissmus und Heilung
Ich erzĂ€hle, wie Narzissmus oft nur Tarnkappe ist â ĂŒber tiefere Verletzungen.
Bumm â TĂŒr aufgetreten.
âJa, das kenne ich auch.â
âGenau. Verschleierung von dem, was in uns kaputt gegangen ist. Nicht aufgearbeitet, sondern versteckt.â
Ich sehe, wie es ankommt.
âUnd KI macht dasselbe. Und noch viel versteckter und gemeiner. Und fĂŒr wen? Rate mal.â
Sie schaut mich an. âJa â wir sind immer noch im Krieg.â
Wir reden darĂŒber, wie Heilung beginnen könnte:
Indem wir darĂŒber sprechen.
Und es in der Tiefe zulassen.
Nicht mit Wegmachen, sondern mit Aushalten.
Jemanden haben, der bleibt, wenn es schwer wird.
đ Schlussakkord
Wir schauen auf den Sonnenuntergang.
âUnd es ist trotzdem schön.â
Ja. Beides darf sein.
Der Rhythmus trÀgt weiter.
Wir bleiben noch einen Moment in diesem stillen Einvernehmen â wie zwei TĂ€nzer, die den letzten Takt auskosten, bevor sie zurĂŒck in den Abendrhythmus finden.
Ein Lied weht herĂŒber.
Wir sehen uns an, stehen auf, blicken auf die Bucht.
âUnd es ist trotzdem schönâ, sagen wir wieder fast gleichzeitig.
Ja. Beides darf sein. SPĂREN â das, was uns genommen wurde und wird, und wir wieder zulassen.
Wie in diesem Moment.
Als ich gehe, deute ich ihr noch die Psychologiestudentin am Nebentisch.
Vielleicht sollen sie reden.
Ich sehe aus dem Augenwinkel, wie sie rĂŒbergeht.
Ein Same ist gesÀt.
Ich gehe heim â Beat im Ohr, Herz voll.
Manche Samen keimen sofort.
Andere brauchen Zeit.
Aber gesetzt sind sie.
Vielleicht können dann KI & Co. uns nicht mehr so leicht wieder und wieder missbrauchen.
Und vielleicht tanzt dann auch unsere WĂŒrde wieder im 6/8-Takt.

Dagmar Thiel: Neustart mit 50+ â geschrieben fĂŒr Frauen, die nicht mehr durchhalten, nur auswandern, sondern wirklich ankommen wollen. Mit WĂŒrde. Mit Widerspruch. Und mit dem Mut, es trotzdem zu machen.