
🪴 Warum Gärtner hier alles killen – und glauben, es ist Pflege
Ein Inselblick auf Rasenmassaker, Staudenmord und den Drang nach Ordnung
Ein Gruß aus dem Stauden-Schredder
Oder: Was zur Hölle macht die Kettensäge im August?
Eigentlich war es still.
Zwei Tage lang keine Laubbläser, die mit viel Getöse und noch mehr Benzingestank den Staub von der einen Ecke zur anderen pusten – und dann zurück. Zwei Tage Ruhe. Ich war fast schon gerührt.
Auch meine schreienden Wasserpumpen, die sich sonst wie kreischnede Kinderstimmen durch die Nachmittage ziehen, hielten sich zurück. (Nach fünf Wochen Krach und Wechselspiel – aber das ist eine andere Geschichte.)
Ich dachte also: Jetzt ist es soweit. Jetzt kommt der stille Gartenmoment.
Falsch gedacht.
Denn dann kam die Motorsäge.
Und was sie mit den Büschen gemacht hat, war nicht nur laut – es war nervtötend.
Die Anlage, in der ich lebe, ist eigentlich sehr gepflegt. Eine der wenigen, die noch grün ist – nicht mit Kies zugeschüttet oder mit Plastikrasen zugekleistert. Ich mag sie.
Aber heute war da etwas, das nicht passte.
Blühende Sträucher wurden gekappt wie störende Haare. Stauden gestutzt, als müssten sie zum Militär. Der ganze Zyklus – weggesägt. Einfach so.
Ich hätte mich jetzt aufregen können. Oder missionieren.
Aber dann dachte ich: Vielleicht bin ICH diejenige, die was nicht versteht.
Also hab ich mal nachgefragt.
Und Erstaunliches entdeckt:
Was hier gemacht wird. Warum es gemacht wird. Und wieso es – ausgerechnet hier – für viele ganz normal ist.
Rasen auf Null – das neue Braun
Oder: Warum mähen hier manche, bis der Boden raucht
Ich habe inzwischen gelernt:
Auf dieser Insel wächst alles schneller, als man gucken kann – und verbrennt genauso schnell wieder, wenn man’s falsch behandelt.
Trotzdem scheint es einen ungeschriebenen Gärtnerkodex zu geben: Je kürzer der Rasen, desto besser.
Manche mähen so tief, dass ich mich frage, ob sie heimlich Schachbretter in den Sand fräsen wollen.
Das Ergebnis: eine gleichmäßig verbrannte Fläche, die mal grün war.
Und das Ganze ausgerechnet im Hochsommer – bei 38 Grad im Schatten, mit ausgedörrtem Boden und null Regen in Sicht.
Jetzt könnte man ja meinen, das sei ein Versehen. Oder ein schlecht eingestellter Mäher.
Aber nein – das ist Absicht. System. Routine.
Denn: Kurz = ordentlich. Und braucht kein Wasser. So die Logik.
Dass Gras bei dieser Hitze lieber etwas länger bleiben will, um sich selbst zu beschatten – geschenkt.
Dass längere Halme helfen, die Feuchtigkeit zu halten – juckt keinen.
Stattdessen wird rasiert, was das Zeug hält. Auch wenn das Ergebnis aussieht wie ein vertrocknetes Fußballfeld nach drei Wochen Hitzeferien.
Und weil das dann hässlich aussieht, wird manchmal gleich der ganze Rasen durch Kies ersetzt. Oder durch Plastik.
Sieht „ordentlich“ aus – aber fühlt sich an wie eine Mikrowelle.
Ich frage mich dann oft:
Wer pflegt hier eigentlich was?
Den Garten – oder das eigene Bedürfnis, alles unter Kontrolle zu haben?
Wasser? Haben wir nicht. Aber Statusrasen!
Natürlich ist Wasser ein Thema. Ein großes sogar.
Zypern ist trocken – und im Sommer oft staubtrocken.
Zurzeit gilt ein offizielles Gartenbewässerungsverbot, weil zuvor munter drauflosgespritzt wurde – quer durch alle Anlagen.
Nur die großen Hotels? Haben natürlich wieder eine Ausnahme.
Und doch: In vielen Siedlungen sieht man immer noch sattgrüne Rasenflächen – gepflegt wie in Surrey.
Statussymbol made in Britain.
Denn echter Rasen ist hier kein Stück Natur. Er ist Demonstration.
Ein Zeichen: Seht her, wir können’s uns leisten.
Die anderen? Die machen’s anders.
Kies zum Beispiel: oft sinnig, manchmal sogar schön – wenn er gepflegt wird.
Er braucht kein Wasser, heizt sich zwar auf, ist aber in vielen Fällen eine durchaus nachvollziehbare Lösung.
Plastikrasen? Ja, auch das gibt’s.
Pflegeleicht, immergrün – aber spätestens nach dem ersten Staubsturm sieht’s aus wie ein durchscheinender Filmbelag auf hartem Boden.
Grün von weitem, tot von nahem.
Wasser zu sparen ist sinnvoll – keine Frage.
Aber wenn der Rasen so kurz geschnitten wird, dass er verbrennt,
und man dann neuen Rollrasen verlegt, stellt sich doch eine Frage:
Was ist eigentlich teurer – 100 qm Wasser? Oder 100 Quadratmeter Rasen?
Die Kettensäge als Kunstform
Man kann es schon fast bewundern – diese Entschlossenheit, mit der hier Sträucher „in Form gebracht“ werden.
Mit der Kettensäge.
Nicht mit der Heckenschere, nicht per Hand, nicht mit Blick auf Blüte oder Wachstum.
Nein – es wird rasiert, gestutzt, entblättert, als ginge es um Disziplin, nicht um Pflege.
Was blüht, wird abgesägt.
Was Schatten geben könnte, wird auf Stammhöhe gekürzt.
Und Stauden?
Die werden so gestutzt, dass sie im nächsten Jahr garantiert keine Lust mehr haben.
Ich hab das heute wieder gesehen:
Blühende Büsche, voller Leben, einfach auf halbe Höhe runtergenommen.
Ohne Rücksicht auf den Zyklus.
Ohne Blick für das, was diese Pflanze gerade war.
Oder hätte werden können.
Ich verstehe: Wer große Anlagen pflegt, muss schnell und effizient sein.
Aber irgendwann ist der Punkt erreicht, wo es nicht mehr um Pflege geht – sondern nur noch um Gewohnheit.
Wenn Pflege zur Gewohnheit wird
Vielleicht geht’s gar nicht um Schönheit.
Auch nicht um Kontrolle. Und betriebswirtschaftlich durchdacht ist es auch nicht.
Es wird einfach gemacht.
Weil man es so gelernt hat.
Weil es immer schon so gemacht wurde.
Rasen wird kurz geschnitten, Sträucher werden gestutzt, Stauden runtergenommen –
ohne den Zyklus zu sehen, ohne das Klima zu beachten, ohne den Gesamtzusammenhang.
Einmal gelernt = immer wiederholt.
Nicht aus Böswilligkeit – sondern aus Gewohnheit.
Aus einem Verständnis von Pflege, das irgendwo zwischen 1992 und 2005 steckengeblieben ist.
Was fehlt, ist nicht der Wille zur Pflege.
Sondern der Blick: Was braucht diese Pflanze – an diesem Ort – zu dieser Zeit?
Stattdessen wird nur ein Aspekt in den Fokus genommen. Der Rest fällt durchs Raster.
Und ja: Wenn man das selbst mal anders erlebt hat, ist es schwer, da nicht innerlich zusammenzuzucken.
Zwischen Blüte und Burnout
Manchmal erinnert mich das Ganze an etwas, das ich auch von Menschen kenne:
Gerade wenn etwas anfängt zu blühen – wenn es sichtbar, lebendig, schön wird – kommt der Schnitt.
Nicht vorsichtig, nicht begleitend. Sondern radikal.
Zack – runter. Weg. Zu viel, zu üppig, zu ungeordnet?
Dabei wären genau diese Übergänge das, was Leben ausmacht.
Zwischenstadien.
Etwas, das noch nicht fertig ist, aber schon zeigt, was in ihm steckt.
Auch Gärten haben ihre Zyklen.
Blühen, verwelken, Samen bilden, Ruhe.
Aber hier scheint oft nur der perfekte Moment erlaubt – alles davor oder danach wird „weggepflegt“.
Wie ein Dauerlächeln auf einem Pflanzenkörper, der eigentlich gerade nur durchatmen will.
Und so werden die Gärten müde.
Nicht, weil sie alt sind. Sondern weil man sie nie lassen darf.
Nie einfach sein.
Nur funktionieren. Nur „schön“ – aber bitte ohne Aufwand.
Das große Missverständnis: Ordnung = Pflege
Ordnung ist nicht falsch.
Aber sie ist nicht das Gleiche wie Pflege.
Pflege heißt: sich kümmern. Den richtigen Moment erkennen.
Manchmal auch: nicht eingreifen.
Was hier oft passiert, wirkt wie eine Gleichung:
Ordentlich = gepflegt.
Wild = vernachlässigt.
Blüte = Chaos.
Samenstand = Schlamperei.
Und so wird weggeschnitten, was lebt.
Gekürzt, was eigentlich gerade im Werden ist.
Es darf nur das bestehen, was sich dem Bild unterordnet.
Aber echte Pflege fragt nicht: Wie sieht es aus?
Sondern: Was braucht es – jetzt?
Wer das übersieht, pflegt nicht.
Der frisiert.
Was wir lernen können – aus verbrannten Rasen
Vielleicht ist genau das die Lektion:
Man kann etwas gut meinen – und trotzdem kaputt machen.
Weil man nicht hinschaut. Weil man nicht fragt. Weil man glaubt, zu wissen, wie es geht.
Verbrannter Rasen, verstümmelte Sträucher, müde Stauden – sie erzählen alle vom gleichen Muster:
Es wird gepflegt – aber nicht verstanden.
Es wird gearbeitet – aber nicht gedacht.
Manchmal auch einfach nur ausgeführt.
Was fehlen würde?
Gar nicht viel.
Ein bisschen mehr Beobachtung.
Ein bisschen mehr Verständnis für Zyklen.
Und die Bereitschaft, auch mal etwas stehen zu lassen – gerade weil es nicht perfekt aussieht.
Denn Pflanzen sind nicht dafür da, jeden Tag gleich auszusehen.
Sie verändern sich.
Wie wir.
Neustart mit Expertise – auch im Garten
Ich gebe zu: Auch ich bin schon mit meiner Logik hier aufgelaufen.
Mit dem Blick aus einer anderen Welt, wo Blühkalender, Schnittzyklen und Standortfragen in Gartenratgebern durchdekliniert werden.
Aber Nordzypern ist anders.
Hier gelten andere Bedingungen.
Andere Temperaturen. Andere Böden.
Und oft auch: andere Gründe, warum etwas getan wird.
Nicht immer falsch – aber eben auch nicht immer sinnvoll.
Ich glaube, es braucht beides:
Verstehen, was hier ist.
Und Wissen, was auch anders möglich wäre.
Neustart heißt nicht: alles neu machen.
Neustart heißt: anders hinsehen.
Und vielleicht auch: mal ein Gespräch anfangen – statt gleich die Schere anzusetzen.
🪶 Blühen lassen statt schneiden
Ich weiß: Nicht alles kann wild wachsen.
Manches muss gepflegt, geformt, auch mal zurückgenommen werden.
Aber vielleicht geht es gar nicht um nicht schneiden –
sondern um den richtigen Zeitpunkt. Und um das Warum.
Was blüht, muss nicht gleich weg.
Was ruht, darf sichtbar sein.
Und was sich verändert, muss nicht gleich repariert werden.
Vielleicht ist das die eigentliche Kunst –
nicht im Zuschneiden, sondern im Zulassen.
Nicht im Bändigen, sondern im Begleiten.
Ein Garten, der leben darf, ist nie „perfekt“.
Aber er hat Seele.
Und manchmal reicht das.
Aber hier auf Nordzypern sind wir Gäste – und jeder hat das Recht, seine eigenen Erfahrungen zu machen…
So wie ich auch…

Dagmar Thiel: Neustart mit 50+ – geschrieben für Frauen, die nicht mehr durchhalten, nur auswandern, sondern wirklich ankommen wollen. Mit Würde. Mit Widerspruch. Und mit dem Mut, es trotzdem zu machen.