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Sicherheit ist nur ein Märchen?

Sicherheit ist ein Gefühl – und manchmal ein Märchen

Ein Gespräch mit Paul, Laydie – und den Stimmen, die dir nachts den Schlaf rauben


Wir leben in einer Zeit, in der Bomben fallen, Raketen fliegen
und Messer nicht nur zum Frühstücksbrot gehören.
Manche nennen es Zeitenwende. Andere nennen es Dienstag.

Und in all dem sitze ich – ein paar Kilometer entfernt vom nächsten Krisenherd –
auf meinem Dach in Nordzypern, trinke Eiskaffee und frage mich:
Was ist eigentlich Sicherheit?

Die Frage kam nicht von mir.
Sie kam von anderen:

„Du bist doch da unten, so nah dran – fühlst du dich überhaupt sicher?“

Und ja, ich fühle mich sicher.
Aber nicht, weil es hier keine Risiken gäbe.
Sondern weil meine Aufmerksamkeit inzwischen ganz woanders liegt.

Mich beschäftigen nicht die Panzer an irgendeiner Grenze,
sondern die nächste Gesetzesänderung in Nordzypern,
der Bauboom mit Betonallergie,
und der Lira-Kurs, der schneller fällt als meine Geduld beim Bauamt.

Ich sehe das Weltgeschehen.
Ich nehme die (Fake?) News wahr –
manche davon klingen so sehr nach KI,
dass selbst mein Bauchgefühl kurz Ladezeit braucht.

Und trotzdem:

Ich lasse meine Wohnungstür offen.


Manche hören keine Möwen mehr

Neulich saß ich in einem Café mit Meerblick.
Schräg gegenüber ein junger Mann, Kopfhörer drin, völlig versunken.
Auf seinem Screen: Drohnenaufnahmen, Raketenstarts, Sirenen.
Kein Ton vom Meer. Keine Möwe. Kein Wind.
Nur Krieg auf Repeat.

Neben mir scrollt eine Frau durch einen Feed mit „aktuellen“ Bedrohungslagen –
die meisten davon stammen aus dem Irakkrieg,
nachbearbeitet, mit KI-Stimme unterlegt.

Ich schaue rüber.
Dann auf meine kalte Limo.
Und denke:

Manche Menschen sitzen in der Sonne –
und hören nicht den Wind, sondern Weltuntergang.

Und ich?
Ich sehe das alles.
Ich nehme es wahr.
Und ich lasse meine Wohnungstür trotzdem offen.


Paul übernimmt

An dieser Stelle meldet sich Paul:
„Sicherheit ist, wenn ich weiß, wo mein Napf steht.
Und wo deiner steht, Laydie, das weiß ich manchmal selber nicht mehr.“

Ich seufze.
Weil er recht hat.
Während ich versuche, mein WLAN am Laufen zu halten,
erzählt mir jemand per Sprachnachricht von B2-Bombern,
die angeblich gerade starten –
aber im Clip noch den Irakstaub von 2003 an den Reifen haben.

Manche sitzen am Strand,
hören nicht das Meeresrauschen,
sondern Reels über Cruise Missiles.

Und ich sitze da –
mit Paul, der meine Kaffeetasse bewacht,
und frage mich:
Was ist eigentlich Sicherheit – wirklich?


Bomben kann ich ausblenden – aber den Müll?

Bomben? Kann ich ausblenden.
Nicht, weil ich naiv bin –
sondern weil sie (noch) weit genug weg sind,
um nicht auf meiner Terrasse zu landen.

Aber der Müll?

Der ist da.
Jeden Tag.
In der Ecke beim Supermarkt.
Am Strand nach dem Picknick.
In den Bauruinen, wo eigentlich Wohnungen sein sollten.

Manchmal, wenn ich morgens barfuß zum Auto gehe,
weicht mein Blick den Glasscherben aus
und mein Kopf den Fragen nicht mehr:

Wie soll ich mich sicher fühlen, wenn mein Umfeld sichtbar verwahrlost?

Eva sagt:

„Ich wollte mit dem ganzen Wahnsinn nichts mehr zu tun haben –
und jetzt stehe ich zwischen Bauschutt, Kippen und Kaffeebechern,
und überlege, wie ich das meinem Besuch erklären soll.“

Chris meint:

„Ich hab drei Kameras und fünf Türschlösser –
aber wenn ich durch den Müll laufen muss,
fühl ich mich wie in einem Endzeitfilm mit Sonnencreme.“


Verunsicherung im Stillen

Vielleicht ist es genau das, was mich hier auf Nordzypern so ambivalent fühlen lässt:
Die Bedrohung ist nicht laut, aber sie ist da.
Nicht in Form von Raketen, sondern in Form von Dingen,
die keiner aufräumt.
Dinge, die keiner übernimmt.

Sicherheit heißt für mich nicht: keine Gefahr.
Sondern: Jemand übernimmt Verantwortung.

Und genau da wird’s brüchig.

Wenn Müll sich türmt,
wenn Gesetze über Nacht geändert werden,
wenn keiner weiß, ob der Bau gegenüber je fertig wird –
dann entsteht das, was ich nenne: Verunsicherung im Stillen.

Eva sagt:

„Krieg ist laut. Aber dieses leise Versagen –
das zieht sich durch alles.“

Chris sagt:

„Ich hab weniger Angst vor Krieg, als vor dem Moment,
in dem keiner mehr zuständig ist.“

Und Antje?
Die fragt still:

„Was bleibt eigentlich, wenn wir uns an Unsicherheit gewöhnen?“
Dann leise:
„Vielleicht ist Sicherheit auch nur eine Geschichte,
die wir uns erzählen, damit wir weitergehen können.“

Ein Satz wie ein Stein in der Stille.
Alle schauen kurz auf.
Und nicken.
Langsam.


Sicherheit ist kein Zustand. Es ist eine Entscheidung.

Vielleicht liegt der Fehler im Denken.

Wir suchen nach Sicherheit wie nach einem festen Ort.
Ein Haus. Ein Konto. Eine Zahl. Eine Versicherung.
Etwas, das bleibt.

Aber vielleicht ist Sicherheit gar kein Ort.
Sondern ein Moment, in dem wir sagen:

„Ich weiß nicht, was kommt – aber ich entscheide mich trotzdem für Leben.“

Ich kann nicht verhindern, dass irgendwo eine Rakete einschlägt.
Ich kann nicht kontrollieren, welche neuen Gesetze morgen gelten.
Aber ich kann mich entscheiden:

– für einen offenen Blick
– für einen klaren Gedanken
– und für ein Leben, das nicht auf Dauerkrise programmiert ist.


Denn es soll ein Leben vor dem Tode geben.

Und ständige Angst ist da nicht wirklich hilfreich.

🛋️
Paul schiebt mir die Kaffeetasse näher.
Laydie zieht sich die Kapitänsmütze ins Gesicht.
Und ich atme tief ein –
mitten im Auge des Sturms.

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